Weniger ist mehr

MENSCHEN - DAS MAGAZIN, 1/2010

Welches ist der richtige Weg aus der Krise? Die Ökonomin Irmi Seidl setzt auf die "Postwachstumsgesellschaft"

Sie raten den westlichen Gesellschaften, sich auf ein Leben ohne permanentes Wirtschaftswachstum einzurichten. Sehr populär klingt das nicht.

Viele Leute wissen aus einem gesunden Menschenverstand heraus, dass es mit dem Wachstum nicht ewig weiter gehen kann. Die fruchtbaren Flächen nehmen ab. Die Artenvielfalt geht rasant zurück. Chemikalien in Nahrungsmitteln und der Umwelt gefährden die Gesundheit. Und es herrscht Konsens darüber, dass wir in 30 Jahren kaum mehr fossile Energien haben.

Andererseits heißt es, Unternehmen müssen wachsen, um zu überleben. Wie kommen wir aus diesem Dilemma heraus?

Großen Wachstumsdruck haben börsennotierte Aktiengesellschaften. Sie stehen in der Tat unter Wachstumszwang, weil die Kapitaleigner mit Renditen und steigenden Aktienkursen rechnen. Personengesellschaften, Stiftungen oder Genossenschaften haben deutlich weniger Wachstumsdruck und viele wollen auch gar nicht ständig wachsen.

Jetzt haben wir die Aktiengesellschaften aber nun mal. Und wenn es ihnen schlecht geht, sieht es auch für uns schlecht aus.

Das stimmt nur zum Teil. Es ist tragisch, wenn plötzlich 20.000 Menschen erwerbslos werden. Aber wichtig für die Wirtschaft sind in Deutschland die kleinen und mittleren Unternehmen, und die sind in der Regel nicht börsennotiert. Außerdem ließe sich der Arbeitsplatzverlust mit einer ökologischen Finanzreform begrenzen. Derzeit ist Arbeit aufgrund von Abgaben und Steuern teuer, während Maschinen, Rohstoffe und Energie günstig sind. Deshalb ersetzen Unternehmen Arbeit durch Maschinen und IT-Lösungen. Würde man dieses Verhältnis umdrehen, wäre der Personalabbau für Unternehmen nicht mehr so lukrativ.

Dennoch würden die Gehälter vermutlich sinken und das heißt auch: weniger Kaufkraft. Wie soll das gehen?

Wenn wir langlebige und reparaturfähige Produkte kaufen und nicht mehr der neusten Mode folgen oder das neuste Handymodell haben, wird unser Wohlergehen kaum leiden. Genauso wie wir nicht immobil werden, wenn wir kleinere Autos fahren oder Carsharing machen. Außerdem haben wir in der freien Zeit die Möglichkeit in Subsistenzarbeit Produkte selber herzustellen. Viele Menschen fürchten sich auch deshalb vor Gehaltseinbußen, weil sie hohe monatliche Verpflichtungen für ein größeres Auto oder eine größere Wohnung oder Reise eingegangen sind. Das heißt, auch der individuelle Wachstumsdruck sollte reduziert werden.

Die Steuereinnahmen fließen auch in die sozialen Systeme. Was passiert mit ihnen, wenn die Wirtschaft aufhört zu wachsen?

Dann besteht die Gefahr, dass für die sozialen Systeme in ihrer derzeitigen Form nicht mehr genug Geld vorhanden ist.

Das sagen Sie so ruhig.

Die Qualität der Versorgung muss deshalb nicht nachlassen. Für den Gesundheitssektor kann das heißen, dass zum Beispiel Anreize für eine stärkere Prävention gegeben werden und sich dadurch die Kosten für Medikamente und stationäre Behandlungen verringern. Außerdem gilt es im Gesundheitssektor dem Wachstumsdruck der Pharmaindustrie und Medizingerätehersteller zu begegnen, die ihre Umsätze steigern wollen. Auch die Ärzte fordern regelmäßig mehr. Dieses Wachtsum wird auch mit Steuermitteln finanziert – und dies angesichts der ohnehin hohen staatlichen Verschuldung.

Ein Politiker, der all das ankündigt, wird garantiert nicht gewählt!

Das ständige Wirtschaftswachstum ist nicht haltbar. Wenn wir nicht mit der Restrukturierung der wachstumstreibenden und wachstumsabhängigen Bereiche beginnen, bringen wir uns um die wertvolle Chance die Anpassung zu gestalten. Andernfalls wird es zu einer gewichtigen Destabilisierung kommen. Und das kann größere Ungerechtigkeiten, Leid und Unzufriedenheiten mit sich bringen.

Also besser Gesundschrumpfen als Kaputtwachsen?

Die ökologischen Probleme zeigen, dass wir bisher auf zu großem Fuß gelebt haben. Wir müssen unser Handeln an den natürlichen Grenzen ausrichten. Das heißt, dass verschiedene Branchen und Sektoren schrumpfen müssen. Das sind vor allem diejenigen, die viele Ressourcen verbrauchen. Andere Bereiche werden auch in Zukunft wachsen. Insgesamt wird die Reduzierung des Wachstumsdrucks viele neue Möglichkeiten eröffnen – sowohl für die Politik wie für die Gesellschaft.